Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Leo von Welden und die Gruppe 51 – Komm ein bisschen mit nach Italien“
Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie uns zurückgehen in das Rosenheim der ersten Nachkriegsjahre. Damals trafen sich im Fastlingerhaus neben dem Mittertor Künstler, die als Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Ausgebombte hier gestrandet waren. Im Fastlingerhaus wohnte damals Heribert Losert mit seiner Familie. Der gebürtige Österreicher konnte genauso wenig zurück wie der Sudetendeutsche Karl Prokop. Ihre Heimat lag in der Tschechoslowakei und hier waren Deutsche nicht gelitten. Der Krieg hatte auch Friedrich Rio Lange seine Wurzeln nach Lothringen abgeschnitten. Einzig Hans Waiblinger war im Chiemgau aufgewachsen und somit hier zu Hause. Bald sollten sich zu diesem engsten Kreis noch einige weitere Künstler gesellen wie Leo von Welden, dessen Atelierwohnung in München-Schwabing ausgebombt worden war, und der in Aibling eine neue Zuflucht gefunden hatte, und Hansjoachim Schroeter. Seine Atelierwohnung in Kiel war ebenfalls durch einen Luftangriff zerstört worden. Allen diesen Künstlern war eines gemein, der Krieg und die Jahre der nationalsozialistischen Diktatur hatten tiefe Spuren in ihrer Seele und ihrer Karriere hinterlassen. Später wird diese Generation zusammengefasst als die „verschollene Generation“. Gerade als sie sich anschickten künstlerische Erfolge zu feiern, mussten sie Soldaten werden, oder sich aus dem offiziellen Kunstbetrieb zurückziehen, da ihre Kunst nicht den Vorstellungen der Machthaber entsprach. Und doch, sie hatten wenigstens überlebt. Nun wollten sie Anschluss an die moderne Kunst finden. Zu lange waren sie abgeschieden von allen aktuellen Strömungen. Neue Ansätze, neue Positionen mussten erst gefunden und erarbeitet werden. Diskussionen im Freundeskreis waren hier hilfreich. Und dann dies. Gerade war die Städtische Galerie Rosenheim nach den Kriegsschäden wiederhergestellt, da präsentierte der Rosenheimer Kunstverein in seiner ersten Nachkriegsausstellung in einer Sonderschau den Maler Paul Mathias Padua. Padua war ein typischer Vertreter der nationalsozialistischen Propagandakunst, der es sich im Dritten Reich bequem eingerichtet hatte. Anlässlich der Ausstellungseröffnung hielt er eine flammende Rede zugunsten der konservativen Kunst und teilte scharfe Seitenhiebe auf die nach seiner Sicht allzu Modernen aus. Da reichte es unseren Malerfreunden. Flugs verfassten sie einen Zeitungsartikel und unterzeichneten mit „Gruppe 51“. Man schrieb zwar erst das Jahr 1950, doch so signalisierten sie ihr engagiertes hinwenden zur Zukunft. Ein Auszug daraus: „A propos Ruhm. Herr Padua bestieg seine Stufen zur Zeit, da uns der Pinsel genommen und ein Gewehr in die Hand gedrückt wurde, und während er daheim seinen heroischen „Übergang über die Maas“ malte, überquerten wir eben diese Maas, den Dnjepr, das Mittelmeer usw. ... wir waren gewissermaßen seine Modelle.“ Damit war die „Gruppe 51“ gegründet. Wobei der Begriff „Gründung“ sehr hoch gegriffen ist. Eigentlich war es ein loser Zusammenschluss von Freunden. Es gab nie einen eingetragenen Verein, nie Statuten, eine Satzung oder ähnliches. Man konnte weder offiziell ein-, noch austreten. Wichtig war vor allem das gemeinsame Ziel. Der Ungeist der NS-Zeit sollte ein für allemal überwunden und widerlegt werden. Padua war da geradezu ein rotes Tuch für die Freunde um die „Gruppe 51“. Aber auch Constantin Gerhardinger, der noch lange als Juror das Ausstellungsgeschehen des Rosenheimer Kunstvereins bestimmte, galt in seiner konservativen Haltung als ausgemachter Feind und wurde als „Gerhard Dünger“ persifliert. Fassen wir noch einmal zusammen. Gründungsmitglieder waren Heribert Losert, Karl Prokop, Friedrich Rio Lange und Hans Waiblinger. Dazu gesellten sich schnell Leo von Welden, Hansjoachim Schroeter, Heinz Kaufmann und Heinz Wipper. Aber auch Walter Brendel, Bruno Tausend, Fritz Nuding, Toni Felder oder der Keramiker Wolfgang Dietz hatten freundschaftlichen Kontakt zur „Gruppe 51“. Ihren ersten großen Auftritt hatte die „Gruppe 51“ beim Rosenheimer Faschingszug im Jahre 1951. Als „Kleinkinder des Kunstvereins“ präsentierten sich auf einem Umzugswagen unter anderem Heribert Losert, Karl Prokop, Hans Waiblinger und Leo von Welden mit Babymützchen auf dem Kopf, umgebundenen Lätzchen und Schnuller. Betreut wurden sie von einer dickbusigen Pappmaché-Gouvernante im Auftrag von „Papa Kunstverein“. Die Aussage war klar, sie wollten sich nicht länger als dumme Babies behandeln lassen. Bald waren die Faschingsbälle der „Gruppe 51“ legendär, die ab 1951 einige Male veranstaltet wurden. Ein Motto gab die Thematik vor und wochenlang machten sich fleißige Hände ans Erstellen von Dekorationen und Accessoirs. Mit witzigem Wortspiel „Agruppolis“ präsentierte die „Gruppe 51“ einen ihrer Bälle. Bei den „Indischen Nächten“ bevölkerten Maharadschas, Scheiche, Basarhändler, Elefantentreiber, Fakire, Maharanis und Haremsdamen, Plantagenbesitzer mit Tropenhelmen und ihren Damen, Globetrotter und Schiffskapitäne den Hofbräusaal. Toni Appel dirigierte seine Kapelle, man tanzte begeistert und die Bar war dicht belagert.Im Jahr darauf wurde die Turnhalle in der Kaiserstraße in ein „Wrack auf dem Meeresgrund“ verwandelt, in dem sich Piraten, Kapitäne, Nixen, Wasserleichen und Meerjungfrauen tummelten. Zu diesem Höhepunkt der Rosenheimer Faschingssaison brachte OB Ueberreiter Politprominenz als Gäste mit. Promt reagierten die Rosenheimer Wirte sauer, da sie die attraktiven Künstlerfeste als geschäftsschädigend ansahen. Die örtliche Presse jedoch lobte diese Feste überschwänglich, die in nichts denen in Schwabing nachgestanden haben sollen. Schnell jedoch verlor die „Gruppe 51“ an Fahrt. Als der Kunstverein 1952 unter seinem neuen Vorsitzenden Max von Belli signalisierte, dass er „politische Bindungen ablehne und den verschiedenen Kunstrichtungen neutral sei“ und dies auch in der neuen Satzung verankerte, nahmen die Mitglieder der „Gruppe 51“ dieses Versönungsangebot an und traten dem Kunstverein bei. Im gleichen Jahr verließ Heribert Losert Rosenheim und im Jahr darauf nahm sich Rio Lange das Leben. Dieses Jahr 1953 markiert einen Einschnitt und Neubeginn zugleich. Einige der Gruppenmitglieder, Heribert Losert, Hansjoachim Schroeter, Hans Waiblinger oder auch Hans Schuster, Bruno Tausend und Walter Brendel konnten mit ihren Bildern erstmals nach dem Krieg wieder internationales Parkett betreten. Die angesehene Galerie Neupert in Zürich präsentierte sie im Rahmen der „Ausstellung Oberbayerischer Künstler“. Mit dabei waren auch berühmte Namen wie die Caspars oder die Balwés. Und in diesem Jahr 1953 begannen die Malreisen des Freundeskreises um die „Gruppe 51“. Adi Fleck, Leiter des Spielmannzuges organisierte damals eine dreiwöchige Busreise durch Italien. Offizieller Anlass war die Primizfeier eines Rosenheimer Neupriesters in Rom. Doch Leo von Welden, Karl Prokop und Hans Waiblinger zogen das Malen eindeutig der Messe vor. Zu verlockend waren die Motive in Rom, Pompeji oder Amalfi. Und der Freundeskreis erhielt Verstärkung. Bei einer Rast gleich am ersten Tag in Piave di Cadore in den Dolomiten entdeckte Leo von Welden etwas abseits den zeichnenden Heinz Kaufmann. Mit dem Ruf „Da sitzt ja noch ein Maler“ war der Rosenheimer aufgenommen in den unternehmungslustigen Kreis. Italien, das ewige Sehnsuchtsland der Deutschen, stand nun wieder offen für Reisen und lockte mit südlicher Sonne, Wein und Kultur. Unseren Malern bot sich eine Vielzahl von Anregungen und Motiven. „Drei Maler sehen Italien“ lautete dann auch die Ausstellung von Leo von Welden, Karl Prokop und Hans Waiblinger im Aiblinger Kunstverein, die im Jahr darauf die reichen Erträge dieser Malreise präsentierte. Das damalige Begleitblatt schildert den Schaffensprozess anschaulich: „Herbst 1953. In einer kleinen Abruzzenkneipe sitzen drei Maler bei flackerndem Kerzenlicht. Es gibt Schafskäse, Landbrot und Wein, ein äußerlich bescheidenes Mahl, doch welch köstlicher Dreiklang. In ihren Mappen befinden sich Blätter von Venedig und der Adriaküste. Wenige Tage später ... Auf einer Hotelterrasse nahe Amalfi, unter Mandarinenbäumchen, sitzen sie wieder. Tief unten brandet das Meer. Die Lichter der Fischerboote tanzen auf den Wellen. Feuriger Wein von den Lavahängen des Vesuvs rinnt durch die Kehlen der drei „Pittori“. Immer wieder muß Leo bei der Patrona eine neue Flasche holen. Er tut es mit wachsender grandezza und balanciert geschickt durch die stachelbewehrten Kakteen. Dieser Tag muß auch gefeiert werden! Drunten bei den Fischern, inmitten bizarrer Felsen haben sie wie besessen gemalt, den ganzen, heißen Tag, ohne an Essen zu denken. Kaum ein Sprung ins Meer gönnten sie sich. Und alle weiteren Tage sind ähnlich mit Arbeit ausgefüllt. Auf Capri, in Neapel, Rom, Assisi! “Dolce far niente” gilt nur des abends, wenn die frühe Dämmerung über eine Fülle glücklichen Erlebens herabsinkt. Drei Maler – innerlich einander verbunden, jedoch grundverschieden in künstlerischem Temperament und Wesensart – zeigen hier den farbigen Niederschlag ihrer Reise. Die persönliche Eigenart jedes Malers, deutlich sichtbar werdend nebeneinander – oft am gleichen Motiv – bildet wohl den besonderen Reiz dieser Ausstellung.“ Selbstverständlich unternahmen die Maler auch Einzelreisen. Diese Ausstellung ist aber den gemeinsamen Malreisen gewidmet, wobei nicht bei jeder Reise alle dabei waren. 1963 konnte beispielsweise Leo von Welden die Freunde Prokop, Waiblinger und Wipper nicht nach Griechenland begleiten, da er einen kranken Fuß hatte. Bei der Rückkehr empfing er die drei am Rosenheimer Bahnhof als der einzige, der Griechenland mit seiner Seele wirklich erfasst hatte. Bezeichnend für die gemeinsamen Malreisen ist der Drang in den Süden, mehrfach waren Sizilien, Sardinien, Spanien und Griechenland die Ziele. Ganz besonders prägnant war die Malreise nach Ischia1958, deren Malergebnisse anschließend in einer Ausstellung im Kunstverein Bad Aibling präsentiert wurden. Ein von Heinz Kaufmann liebevoll gestaltetes Fotoalbum berichtet nicht nur vom unermesslichen Malfleiß der Freunde. Die mediterranen Landschaften boten reichhaltig Motive und Anregungen. Es waren nicht nur die Felsen und Klippen am Meer, die kleinen Dörfer und alten Orte, die Menschen in ihrem Alltag. Es waren vor allem auch das Licht, die Farben, die Stimmung und das Wetter. Mit Bleistift, Tuschefeder und vor allem und hauptsächlich mit dem Aquarellkasten traten die Malerfreunde an, um das Terrain für sich zu erobern und malerisch zu bewältigen. Aus den zahlreichen Motiven musste klug ausgewählt werden. Ein Übermaß an Details musste gebändigt und in Grundstrukturen erfasst werden. Das gleißende Licht des Südens musste adäquat umgesetzt und für den Betrachter erlebbar dargestellt werden. Risiko wohin man schaute. Das Experimentierfeld und die Herausforderungen schienen unendlich. Natürlich diskutierte man die Malergebnisse des Tages untereinander. Natürlich musterte man die international berühmten Künstler, die sich auf Ischia zeitweise niedergelassen hatten wie Werner Gilles, Eduard Bargheer oder Hans Purrmann. Äußerlich gesehen waren die Reisen spartanisch. Anreise mit dem Zug, dem Bus, der Fähre. Übernachten in einfachen Pensionen. Doch der Anspruch, den die Maler an sich und ihre Kunst hatten, war immens. Immens war auch das Gewicht der mitgeschleppten Malausrüstung mit Staffelei, großen Aquarellblöcken, Malkästen, Pinseln und Stiften. Hier waren begeisterte Anhänger der im 19. Jahrhundert so beliebten Pleinair-Malerei emsig unterwegs. Kein Berg schien zu hoch und zu steil, keine Bucht zu tief unten, kein Stufenweg zu eng. Alles wollte entdeckt und festgehalten werden. Den Wein und die Spezialitäten der lokalen Küche am Abend hatten sie sich wirklich verdient. Und die reichen Malerträge sprachen für sich. Genauso wie das Jahr 1953 den Aufbruch markierte, genauso markierte das Jahr 1967 das Ende. Im Juli dieses Jahres starb Leo von Welden, der übermorgen 111 Jahre alt werden würde, und damit eine der zentralen Figuren des Freundeskreises und der Malreisen. Danach ist nichts mehr so wie es war. Die Lücke war nicht zu füllen. Eine Leerstelle blieb. In einem Geniestreich modellierte Rolf Märkl in einer Nacht die Züge des verstorbenen Freundes und verlieh ihm damit bronzene Unsterblichkeit. Im September 1967 brachen nochmals Karl Prokop, Heinz Wipper und Hans Waiblinger zu einer lange geplanten Malreise nach Sizilien auf. Es wird die letzte sein. Hans Waiblinger erwies sich in Taormina empfänglich für die Reize seiner dann zweiten Frau Ingrid. Wieder zu Hause trennte er sich von seiner ersten Frau Nana. Das war nicht nur das Ende einer Ehe, sondern der Malreisen überhaupt. Angesichts der Gefahren, die im Süden den Ehemännern offensichtlich drohten, beschlossen die übrigen Ehefrauen, dass es nun gut sei mit den Malreisen. Aus vorbei, Schluss, das war’s. Auch die Zeiten hatten sich geändert. Im Süden machten sich bereits die Vorzeichen des bald einsetzenden Massentourismus bemerkbar. Und genauso wie der Kommerz voranschritt, prangerten die dann auftretenden Achtundsechziger den Konsum an. Studentenunruhen, Terrorismus und Ölkrise erschienen bald als neue Themen. Vorbei war die Zeit der, nennen wir sie ruhig „unschuldigen“ Malreisen. Diese Ausstellung erinnert schlaglichtartig an einen wirkmächtigen Freundeskreis um Leo von Welden und die „Gruppe 51“; erinnert an politisches Engagement, künstlerischen Aufbruch, Reisen und Feste; und an eine längst vergangene Zeit. Die „Gruppe 51“ war damals die einzige Künstlergruppe in Rosenheim. Auch wenn sie nur kurzen Bestand hatte, ein Stück Rosenheimer Geschichte ist sie allemal.
Dr. Evelyn Frick, Rosenheim, 14. Dezember 2010
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